Der Eintrag "offcanvas-col1" existiert leider nicht.

Der Eintrag "offcanvas-col2" existiert leider nicht.

Der Eintrag "offcanvas-col3" existiert leider nicht.

Der Eintrag "offcanvas-col4" existiert leider nicht.

de
Have any Questions? +01 123 444 555

News

Die binaurale breitbandige Lautheitssummation

Autor: Dirk Oetting
Lautheit und ihre individuelle Wahrnehmung spielt in der Praxis der Hörsystemanpassung eine zentrale Rolle. Die Verstärkungs- und Kompressionseinstellungen wirken sich direkt auf das Lautheitsempfinden des Kunden aus. „Zu laut“ war die häufigste Antwort von subjektiven Problem-Beschreibungen, wenn Hörgeräte nicht optimal eingestellt waren [1]. In der EuroTrak-Studie von 2018 [2] gaben nur 66% der Befragten an, zufrieden mit dem Hörkomfort bei lauten Klängen zu sein. Ein niedriger Wert im Vergleich mit den anderen abgefragten Dimensionen. Nur noch „Lebensdauer der Batterie“ (62%) und „Nutzen in lauten Umgebungen“ (64%) liegen darunter. Dabei hatte der Faktor „Hörkomfort bei lauten Klängen“ den höchsten Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit mit Hörgeräten und verdeutlicht so die hohe Relevanz von Lautheit bei der Hörgeräteanpassung und die Akzeptanz im Alltag.

Schmalbandiger Lautheitsausgleich

Das subjektive Lautheitsempfinden kann mit der Lautheitsskalierung individuell bestimmt werden. Typischerweise werden in der Praxis dafür schmalbandige Signale verwendet [3,4]. Das Ergebnis sind Lautheitskurven für verschiedene Frequenzen. In Abb. 1 ist die Lautheitskurve bei 2000 Hz für einen Probanden mit einer tonaudiometrischen Hörschwelle von 40 dB HL gezeigt. Die gemessene Lautheitskurve ist in blau dargestellt. Die schwarz gestrichelte Linie zeigt die durchschnittliche Lautheitsfunktion von Normalhörenden. Der Verlauf der blauen Lautheitskurve zeigt typische Auswirkungen der Schwerhörigkeit auf das Lautheitsempfinden: bis zur Hörschwelle werden die Signale nicht wahrgenommen; für Signale, die etwas oberhalb der Hörschwelle liegen, ist das Lautheitsempfinden geringer im Vergleich zur mittleren Lautheitskurve von Normalhörenden; für hohe Schalldruckpegel verläuft die Lautheitskurve dicht an der Lautheitskurve von Normalhörenden.

Ein Ansatz in der Hörgeräte-Anpassung ist es die schmalbandigen Lautheitskurven zu normalisieren (z.B. LoudFit [5], LPFit [6]). Dafür werden die Verstärkungswerte so gewählt, dass die gemessene Lautheitskurve auf die mittlere Lautheitskurve von Normalhörenden verschoben wird. In Abb. 1 ist diese Verstärkung in Rot dargestellt. Jedoch konnte keines der bisherigen Verfahren mit einem schmalbandigen Lautheitsausgleich die Lautheitswahrnehmung im Alltag wieder normalisieren. Viele Kunden empfinden eine solche Anpassung im Alltag als „zu laut“. Auch mit der präzisen Bestimmung der schmalbandigen Lautheitskurven waren weiterhin individuelle Verstärkungskorrekturen notwendig.

Abb. 1: Lautheitskurve eines schwerhörenden Probanden (blaue Kurve). Die roten Pfeile deuten die Verstärkung an, die benötigt wird, um die Lautheitskurve auf die normale Lautheitskurve (schwarz gestrichelte Kurve) zu verschieben.

Betrachten wir Signale aus unserem Alltag, liegen überwiegend breitbandige Signale wie Sprache, Musik und Umgebungsgeräusche vor. Daher sollte das Ziel der Hörgeräteanpassung sein, das Lautheitsempfinden für breitbandige Signale zu normalisieren. Breitbandige Signale unterscheiden sich im Vergleich zu schmalbandigen Signalen darin, dass die Signalenergie nicht auf einen schmalen Frequenzbereich begrenzt ist, sondern sich über einen großen Frequenzbereich verteilt. In Abb. 2 ist das Terz-Spektrum für ein schmalbandiges Signal und ein breitbandiges Signal dargestellt. Das schmalbandige Signal zeigt die Hauptanteile der Energie in zwei Frequenzbändern. Das breitbandige Signal zeigt ein sprachähnliches Spektrum, bei dem die Energie über einen großen Frequenzbereich verteilt ist.

Abb. 2: Spektrum in Terzbändern von einem schmalbandigen und einem breitbandigen Testsignal.

Für lautheitsbasierte Anpassverfahren wurde in der Vergangenheit sehr häufig die Annahme getroffen, dass, durch die Lautheitsnormalisierung für schmalbandige Signale, automatisch die Lautheit für breitbandige Signale normalisiert ist. Die Annahme entspricht dem aktuellen Verständnis, wie Lautheitsmodelle die Gesamtlautheit eines breitbandigen Signals bestimmen. Es wird die Lautheit in jedem Frequenzband berechnet und dann die Lautheit pro Frequenzband zur Gesamtlautheit aufsummiert. Hat man die Lautheit in jedem Frequenzband normalisiert, ergibt sich dann eine normale Lautheit auch für breitbandige Signale. Sollte diese Annahmen stimmen, dann sollten bei allen Kunden, bei denen die schmalbandige Lautheit normalisiert wurde, die gleiche breitbandige Lautheitskurve gemessen werden. Dass diese Vorstellung und Annahme für Meschen mit einer Schwerhörigkeit nicht haltbar sind, wird im folgenden Abschnitt erläutert.

Binaurale breitbandige Lautheitssummation

Abb. 3: Binaurale Lautheitskurven mit schmalbandigem Lautheitsausgleich für zwei Probanden mit ähnlichen Audiogrammen (links). Dabei zeigt sich für ein schmalbandiges Signal eine normale Lautheitskurve (Mitte). Für ein breitbandiges Signal sieht man zwei sehr unterschiedliche Lautheitskurven (rechts). Der graue Bereich zeigt die Erhöhung der binauralen breitbandigen Lautheitssummation gegenüber der mittleren NH Lautheitskurve an.

Zwei Probanden mit ähnlichen Audiogrammen zeigen nach schmalbandigem Lautheitsausgleich normale Lautheitskurven für ein schmalbandiges Signal (Abb. 3, Mitte). Der Pegel der x-Achse entspricht dem Eingangspegel vor der Verstärkung durch schmalbandigen Lautheitsausgleich. Das entspricht dem Signalpegel für ein Signal, bevor es durch das simulierte Hörgerät verarbeitet und verstärkt wird. Jedoch zeigen sich große Unterschiede in der Lautheitskurve für binaural breitbandige Signale (rechte Abbildungen). Bei Proband A sieht man eine Lautheitskurve, die sehr dicht an der Lautheitskurve von Normalhörenden liegt, wohingegen Proband B schon bei geringen Pegeln eine stark erhöhte Lautheitskurve nach schmalbandigem Lautheitsausgleich zeigt. Bei einem Eingangspegel von 60 dB erreicht Proband B bereits eine Bewertung von "extrem laut". Der graue Bereich in Abb. 3 zwischen der binauralen breitbandigen Lautheitskurve nach schmalbandigem Lautheitsausgleich und der binaural breitbandigen mittleren Normalhörenden-Lautheitskurve wird als binaurale breitbandige Lautheitssummation bezeichnet. Die Werte für die erhöhte Lautheitssummation bei 80 dB Eingangspegel sind angegeben und betragen 7 dB für Proband A und 33 dB für Proband B.

Eine schmalbandige Lautheitsskalierung kann deshalb nur eine ungenaue Einschätzung für das individuelle Lautheitsempfinden im Alltag sein, da binaurale breitbandige Signale unseren Alltag dominieren. Es bleibt bei der Bestimmung der schmalbandigen Lautheitsfunktionen unbekannt, ob eine normale, eine leicht erhöhte oder eine stark erhöhte binaurale breitbandige Lautheitssummation bei dem Kunden vorliegt.

Um die Lautheit für breitbandige Signale zu normalisieren, müssen die Verstärkungswerte für schmalbandigen Lautheitsausgleich für Proband A nicht verändert werden. Für Proband B hingegen müssten die Verstärkungswerte stark reduziert werden. Bei Proband B muss an dieser Stelle entschieden werden, ob die Lautheit für schmalbandige Signale oder die Lautheit für breitbandige Signale normalisiert werden soll. Wenn die Lautheitskurve für schmalbandige Signale normalisiert wird, ist das Lautheitsempfinden für breitbandige Signale höher als normal. Wird die Lautheit für breitbandige Signale normalisiert ist das Lautheitsempfinden für schmalbandige Signale niedriger als normal.

Um die Lautheit für breitbandige Signale zu normalisieren, müssen die Verstärkungswerte für schmalbandigen Lautheitsausgleich für Proband A nicht verändert werden. Für Proband B hingegen müssten die Verstärkungswerte stark reduziert werden. Bei Proband B muss an dieser Stelle entschieden werden, ob die Lautheit für schmalbandige Signale oder die Lautheit für breitbandige Signale normalisiert werden soll. Wenn die Lautheitskurve für schmalbandige Signale normalisiert wird, ist das Lautheitsempfinden für breitbandige Signale höher als normal. Wird die Lautheit für breitbandige Signale normalisiert ist das Lautheitsempfinden für schmalbandige Signale niedriger als normal.

Da es große Unterschiede in den Verstärkungseinstellungen für Probanden mit ähnlichen Audiogrammen gibt, stellt NAL ganz deutlich klar, dass die nach NAL-NL2 berechneten Verstärkungskurven nicht das Ziel der Anpassung sind, sondern die Startwerte für die Feinanpassung darstellen: „This would suggest that NAL-NL2 makes a better general starting point.“ [7]. In der Praxis startet man daher mit den berechneten Verstärkungswerten im Hörgerät, um es dann in der Feinanpassungsphase auf den individuellen Kunden anzupassen. Wie groß die notwendigen Änderungen von der Starteinstellung für einen Probanden sind, wird häufig durch Ausprobieren ermittelt.

Auch bei Kuppler- oder Insitu-basierten Anpassvorgehen ist die Zielkurve nur als Startwert in die Feinanpassung anzusehen. Solange keine individuell geeigneten Zielkurven aus Messungen berechnet werden können, muss mit hohen Korrekturen in der Feinanpassungsphase gerechnet werden.

Lautheitssummation bei mehr als 200 Probanden

In den letzten Jahren wurden Daten zur binauralen breitbandigen Lautheitssummation nach schmalbandigem Lautheitsausgleich von insgesamt 216 Probanden aufgenommen. Die Daten wurden vom Hörzentrum Oldenburg GmbH, von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg [8] und von der AMC Klinik in Amsterdam [9] aufgenommen.

In Abb. 4 ist der Pegel für eine binaurale breitbandige Bewertung von „sehr laut“ (45 CU) nach schmalbandigem Lautheitsausgleich über dem mittleren Hörverlust bei 500, 1000, 2000 und 4000 Hz aufgetragen. Der Bereich, in dem 80% der Normalhörenden liegen, ist durch einen grünen Bereich gekennzeichnet. Nur für 35% der Probanden mit einer Hörbeeinträchtigung liegt der Eingangspegel für eine „sehr laute“ Bewertung im Bereich der Normalhörenden. Etwa 25% der Probanden zeigen eine „sehr laute“ Bewertung für Signale bereits unterhalb von 70 dB Eingangspegel (oranger Bereich). Hier ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Probanden ein Hörgerät mit schmalbandigem Lautheitsausgleich im Alltag nicht akzeptieren würden, da die Verstärkung deutlich zu hoch eingestellt ist.

Für die Praxis bedeutet das, dass etwa jeder vierte Hörgeräteträger selbst bei einer für schmalbandige Geräusche optimierte Lautheitswahrnehmung eine erhöhte Empfindlichkeit in Bezug auf die Lautheit breitbandiger Signale aufweist. Mit den Erkenntnissen aus den bisherigen Untersuchungen ist anzunehmen, dass eine Hörsystemeinstellung, welche auf den Informationen des Tonaudiogramms oder einer ausgeglichenen Lautheitswahrnehmung von schmalbandigen Signalen basiert, in vielen Fälle zu keiner passenden Einstellung der Verstärkungswerte in Bezug auf das Lautheitsempfinden von breitbandigen Signalen im Alltag darstellt. Dies ist möglicherweise einer der Gründe, warum sich bisherige lautheitsbasierte Anpasskonzepte mit schmalbandigen Signalen nicht durchgesetzt haben.

Abb. 4: Eingangspegel für eine „sehr laute“ Bewertung aufgetragen über dem mittleren Hörverlust. Der grüne Bereich zeigt den Bereich, in dem 80% der Normalhörenden den Pegel als „sehr laut“ bewerten. Der orange Bereich markiert die Kunden, die schon bei Eingangspegeln unter 70 dB das Signal mit „sehr laut“ bewerten.

Berücksichtigung der Lautheitssummation

Das Anpasskonzept trueLOUDNESS [10,11] berechnet auf Grund der binauralen breitbandigen Lautheitskurve nach schmalbandigem Lautheitsausgleich die benötigte Verstärkung. Ziel dabei ist es ein normales Lautheitsempfinden für binaurale breitbandige Signale zu erzielen. Für Probanden mit ähnlichen Audiogrammen können dabei sehr unterschiedliche Verstärkungswerte vorhergesagt werden. Für Proband A und B sind die Verstärkungsvorhersagen nach trueLOUDNESS in Abb. 5 gezeigt. Für Proband A beträgt die durchschnittliche Verstärkung für einen Eingangspegel von 65 dB bei den Frequenzen 500, 1k, 2k und 4k Hz etwa 21 dB. Für Proband B ergibt sich nach der binaural breitbandigen Korrektur eine durchschnittliche Verstärkung von 8 dB. Das sind 13 dB weniger als für Proband A. Keine audiogramm-basierte Berechnungsvorschrift würde diese Unterschiede vorhersagen. Die durchschnittliche Verstärkung nach NAL-NL2 für 65 dB Eingangspegel für Proband A liegt bei 16,4 dB und für Proband B bei 15,6 dB. Der Unterschied beträgt also weniger als 1 dB in der Verstärkungsvorhersage nach NAL-NL2. Die Werte liegen etwa in der Mitte der Verstärkungsvorhersagen durch trueLOUDNESS. trueLOUDNESS sagt also nicht pauschal mehr oder weniger Verstärkung als NAL-NL2 vorher, sondern in Abhängigkeit von der binauralen breitbandigen Lautheitssummation kann die Verstärkungsvorhersage höher, ähnlich oder niedriger im Vergleich zu NAL-NL2 ausfallen.

Abb. 5: Verstärkungskurven für 50, 65, und 80 dB breitbandigen Eingangspegel nach trueLOUDNESS für Proband A und B. Die mittlere Verstärkung bei 65 dB und die mittlere Kompression an den Frequenzen 500, 1000, 2000 und 4000 Hz sind mit angegeben.

Kompressionsindividualisierung

Neben der Verstärkungsvorhersage für 65 dB Eingangspegel spielt das Kompressionsverhältnis bei der individuellen Anpassung von Hörgeräten eine wichtige Rolle. Wird das Kompressionsverhältnis zu niedrig gewählt, wird die Verstärkung bei niedrigen Eingangspegeln nicht stark genug erhöht und das Lautheitsempfinden für Signale mit niedrigem Pegel ist leiser als normal. Bei hohen Signalpegeln wird bei einem zu niedrigen Kompressionsverhältnis die Verstärkung nicht stark genug reduziert, so dass Signale mit hohem Pegel lauter als normal wahrgenommen werden. Dies kann dazu führen, dass das Hörgerät im Alltag als „zu laut“ wahrgenommen wird.

Wird das Kompressionsverhältnis zu hoch gewählt steigt die Verstärkung bei Signalen mit niedrigem Eingangspegel zu stark an, und kann z.B. zu einem hörbaren Mikrofonrauschen führen. Bei Signalen mit hohem Eingangspegel wird bei einem zu hohen Kompressionsverhältnis die Verstärkung zu stark reduziert, sodass Signale mit einem hohen Pegel leiser als normal wahrgenommen werden.

Eine häufige Beobachtung ist, dass die erhöhte binaurale breitbandige Lautheitssummation mit dem Eingangspegel ansteigt. Bei Proband B in Abb. 3 erkennt man, dass der Abstand zwischen der gemessenen Kurve und der mittleren Normalhörenden-Lautheitskurve mit höheren Eingangspegeln zunimmt. Das bedeutet, dass bei Probanden mit einer erhöhten binauralen breitbandigen Lautheitssummation ein erhöhtes Kompressionsverhältnis im Hörgerät eingestellt werden muss, um ein normales Lautheitsempfinden für binaural breitbandige Signale zu erreichen. Die Höhe des Kompressionsverhältnis lässt sich aus dem Abstand der Verstärkungskurven abschätzen. Liegen die Kurven dicht beieinander, muss ein geringes Kompressionsverhältnis eingestellt werden; liegen die Kurven weit auseinander, muss ein hohes Kompressionsverhältnis eingestellt werden.

Das Kompressionsverhältnis, das von trueLOUDNESS für eine normales binaural breitbandiges Lautheitsempfinden ermittelt wurden, liegt für Proband A bei einer mittleren Verstärkung bei 65 dB Eingangspegel von 20,7 dB bei 1:2,1. Für Proband B ergibt sich auf Grund der erhöhten binauralen breitbandigen Summation eine geringere mittlere Verstärkung bei 65 dB Eingangspegel von 8,1 dB aber ein deutlich höheres Kompressionsverhältnis von 1:3,5. Daran wird deutlich, dass eine höhere Verstärkung nicht mit einem erhöhten Kompressionsverhältnis einhergehen muss.

An diesem Punkt gibt es zwei konkurrierende Erkenntnisse: 1) Um normale binaurale breitbandige Lautheit wiederherzustellen, sind bei manchen Probanden hohe Kompressionsverhältnisse notwendig. 2) Die Sprachverständlichkeit verringert sich, je höher das Kompressionsverhältnis gewählt wird (Souza, 2002). Wie sollten Kunden angepasst werden, bei denen die Lautheitsnormalisierung von binauralen breitbandigen Signalen eine hohe Kompression vorhersagt und ebenfalls eine geringe Leistung in der Sprachverständlichkeit beim Kunden vorliegt? Diese Aspekte sind Teil laufender Untersuchungen zur Evaluation und Optimierung der trueLOUDNESS Anpassung.

Verstärkung bei 50, 65 und 80 dB Eingangspegel

Da der Effekt der erhöhten Lautheitssummation mit dem Pegel ansteigt, ist die größte Unsicherheit in der Verstärkungsberechnung auf Grundlage der Hörschwelle für hohe Pegel zu erwarten. Der Zusammenhang zwischen der Hörschwelle und den vorhergesagten Verstärkungswerten bei 1 kHz nach trueLOUDNESS ist in Abb. 6 zu sehen. Man kann erkennen, dass mit zunehmender Hörschwelle die Verstärkungswerte ansteigen. Bei 50 dB Eingangspegel kann etwa 53% der Streuung innerhalb der Daten durch die Hörschwelle erklärt werden (linke Abbildung). Bei 65 dB sind es nur noch 35%. Bei 80 dB können nur noch ca. 21% der Streuung durch das Audiogramm erklärt werden.

Abb. 6: Verstärkungswerte nach trueLOUDNESS bei 1kHz aufgetragen über der Hörschwelle bei 1kHz. Bei 50 dB breitbandigem Eingangspegel (links) sieht man, wie die Verstärkungswerte mit erhöhter Hörschwelle deutlich ansteigen. Für 80 dB breitbandigem Eingangspegel sieht man nur noch einen geringen Anstieg der Verstärkungswerte für höhe Hörverluste.

Für die Praxis bedeutet das, dass die 50 dB Verstärkungskurve basierend auf dem Tonaudiogramm mit einer mittleren Genauigkeit bestimmt werden kann und im Vergleich zu 65 und 80 dB nur geringere Korrekturen in der Feinanpassungsphase zu erwarten sind. Bei der 80 dB Verstärkungskurve sind in vielen Fällen höhere Anpassungen zu erwarten, da diese Verstärkungswerte nur mit einer geringen Genauigkeit aus der Hörschwelle vorhergesagt werden können. Hier sollten unbedingt subjektive Methoden mit breitbandigen Signalen zur Überprüfung der Verstärkungswerte eingesetzt werden. Die Daten zeigen, dass audiogramm-basierte Berechnungsformeln nur als Startwerte für die Feinanpassung angesehen werden sollten. Große Änderungen von mehr als 10 dB können notwendig sein, damit ein normales Lautheitsempfinden erreicht wird. Beeindruckend ist, dass bei den Verstärkungswerten bei 1 kHz für 80 dB Eingangspegel auch viele negative Verstärkungswerte zu sehen sind. Die Erkenntnis deckt sich mit der Erfahrung, dass manche Schwerhörende auch im unversorgten Zustand binaurale breitbandige Signale als lauter wahrnehmen als Normalhörende. Bei audiogramm-basierten Berechnungsformeln tauchen negative Verstärkungswerte meistens nicht auf. Die Auswirkungen für die Praxis sind zu dem jetzigen Zeitpunkt noch unklar und Gegenstand aktueller Untersuchungen.

Evaluation der trueLOUDNESS Anpassung

In einer Studie wurde trueLOUDNESS mit NAL-NL2 als Erstanpassungsmethode verglichen [12]. Auf dem alten Militärflughafen in Oldenburg (Fliegerhorst) wurde dafür unter realen Bedingungen die Lautheit von Fahrzeugen bewertet. An der Straßenseite saßen die Probanden und die Fahrzeuge fuhren unter verschiedenen Bedingungen an den Personen vorbei: stehend, mit 30 km/h, mit 50 km/h, beschleunigend und abbremsend. Als Fahrzeuge wurden ein Motorrad, ein Auto, ein Transporter und eine Straßenkehrmaschine eingesetzt. Eine Gruppe der Probanden mit hoher binaurale breitbandige Lautheitssummation und eine zweite Gruppe mit normaler binaurale breitbandige Lautheitssummation nahmen an dem Experiment teil. Alle Probanden bewerteten die Situation mit Hörgeräten, die im ersten Programm auf NAL-NL2 eingestellt waren und im zweiten Programm auf trueLOUDNESS. Gleichzeitig bewerteten Normalhörende die identischen Situationen. Es konnte nun verglichen werden, mit welcher Einstellung das Lautheitsempfinden der Schwerhörenden näher an den Bewertungen der Normalhörenden lag. Die NAL-NL2 Anpassung war in der Gruppe der Schwerhörenden mit hoher binaural breitbandiger Lautheitssummation „lauter als normal“ bewertet worden. Bei den Schwerhörenden, die eine normale binaurale breitbandige Lautheitssummation zeigten, war die Lautheitsbewertung mit NAL-NL2 „leiser als normal“. Nur mit der trueLOUDNESS-Anpassung lagen die Lautheitsbewertungen für beide Gruppen im Bereich der Normalhörenden. Diese Studie zeigt, dass die Messung der binauralen breitbandigen Lautheitssummation wesentliche Informationen für die Anpassung der Hörgeräte für den Alltag liefert.

In einer weiteren Studie wurde die Sprachverständlichkeit mit trueLOUDNESS und NAL-NL2 untersucht [13]. Die Hörgeräte wurden im ersten Programm mit NAL-NL2 programmiert und im zweiten Programm mit trueLOUDNESS. Ermittelt wurde die Sprachverständlichkeitsschwelle für 50% Sprachverstehen mit dem Oldenburger Satztest bei 45 und 65 dB Störschallpegel. Sprecher und Störschall wurden aus 0° im Freifeld präsentiert. Die Reihenfolge der Messungen wurde randomisiert. Die Ergebnisse zwischen trueLOUDNESS und NAL-NL2 zeigten keine signifikanten Unterschiede. trueLOUDNESS stellt das binaurale breitbandige Lautheitsempfinden wieder her, hat aber keine Optimierung auf maximales Sprachverstehen. Trotzdem konnte kein Nachteil bei der erreichten Sprachverständlichkeit gegenüber NAL-NL2 gezeigt werden, obwohl NAL-NL2 als Ziel hat, die Sprachverständlichkeit zu maximieren. Mit der trueLOUDNESS Anpassung konnte eine ähnliche Sprachverständlichkeit wie mit der NAL-NL2 Anpassung erreicht werden.

Zusammenfassung

Die binaurale breitbandige Lautheitssummation lehrt uns in vielen Aspekten unsere bestehende Sichtweise auf Schwerhörigkeit zu verändern. Akzeptiert man den Effekt, dass nach einem schmalbandigen Lautheitsausgleich die binaurale breitbandige Lautheitssummation individuell stark unterschiedlich ausgeprägt sein kann, hat das Auswirkungen auf unterschiedliche Bereiche:

  • Es können negative Verstärkungswerte notwendig sein, um das binaurale breitbandige Lautheitsempfinden zu normalisieren.
  • Bei gleicher Hörschwelle können sehr unterschiedliche Verstärkungswerte notwendig sein, um das binaurale breitbandige Lautheitsempfinden zu normalisieren.
  • Bei gleicher Hörschwelle aber Unterschieden in der binauralen breitbandigen Summation, sind unterschiedliche Kompressionsverhältnisse notwendig, um das Lautheitsempfinden zu normalisieren.
  • Bei etwa 25% der Probanden ist damit zu rechnen, dass eine Anpassung mit schmalbandigen Lautheitsausgleich zu einer höheren als normalen Lautheitsempfindung führt.
  • Die binaurale breitbandige Lautheitssummation limitiert prinzipiell die Genauigkeit von audiogramm-basierten Anpassmethoden für Hörgeräte. Die Verstärkung bei 50 dB kann mit einer mittleren Genauigkeit aus der Hörschwelle vorhergesagt werden. Die 80 dB Verstärkungskurve kann nur mit einer geringen Genauigkeit aus der Hörschwelle vorhergesagt werden.
  • Es konnte mit der trueLOUDNESS Anpassung, die das binaurale breitbandige Lautheitsempfinden normalisiert, die gleiche Sprachverständlichkeitsleistung erreicht werden, die auch mit NAL-NL2 erreicht wurde.


Die Ergebnisse zur binauralen breitbandigen Lautheitssummation verdeutlichen die Relevanz der Erkenntnisse für die erfolgreiche Hörgeräteanpassung.

Referenzen:

[1] Jenstad LM, Van Tasell DJ, Ewert C (2003) Hearing Aid Troubleshooting Based on Patients’ Descriptions. J Am Acad Audiol 14:347–360
[2] EHIMA EuroTrak 2018. https://www.ehima.com/wp-content/uploads/2018/06/EuroTrak_2018_GERMANY.pdf, aufgerufen am 25.5.2021.
[3] HörTech (2014) Bedienungsanleitung „Kategoriale Lautheitsskalierung“ Version 1.7. https://www.hoertech.de/images/hoertech/pdf/mp/produkte/kls/Bedienungsanleitung.kls.pdf aufgerufen am 22.6.2021
[4] Acousticon (2021) Bedienungsanleitung „Skalierung (AHA) https://www.acousticon.eu/intern/hilfe/index.html?SkalierungBedienung.html aufgerufen am 22.6.2021
[5] Herzke, T, Hohmann, V (2005). Effects of instantaneous multiband dynamic compression on speech intelligibility. EURASIP Journal on Advances in Signal Processing, 18, 1-10.
[6] Kreikemeier, S, Latzel, M, Kießling, J (2011) Verfahren zur lautheitsbasierten Anpassung von Hörgeräten mit instantanem In-situ-Perzentil-Monitoring. Zeitschrift für Audiol 50:62–72
[7] Keidser, G, Dillon, H, Carter, L, O’Brien, A (2012) NAL-NL2 Empirical Adjustments. Trends Amplif 16:211–223.
[8] Kramer, F, Schädler, MR, Hohmann, V, Oetting, D, Warzybok, A (2020) Speech intelligibility and loudness perception with the trueLOUDNESS fitting rule, 46. Deutsche Jahrestagung für Akustik (DAGA, Hannover)
[9] van Beurden, M, Boymans, M, van Geleuken, M, Oetting, D, Kollmeier, B, Dreschler, WA (2021) Uni- and bilateral spectral loudness summation and binaural loudness summation with loudness matching and categorical loudness scaling, International Journal of Audiology, 60:5, 350-358
[10] Oetting, D, Hohmann, V, Appell, J-E, Kollmeier, B, Ewert, SD Restoring Perceived Loudness for Listeners With Hearing Loss, Ear and Hearing, 2018, 664-678
[11] Oetting, D, Hohmann, V, Appell, J-E, Kollmeier, B, Ewert, SD Spectral and binaural loudness summation for hearing-impaired listeners, Hearing Research, 2016, 335, 179-192
[12] Oetting, D, Bach, J-H, Krueger, M, Vormann, M, Schulte, M, Meis, M (2020). Subjective loudness ratings of vehicle noise with the hearing aid fitting methods NAL-NL2 and trueLOUDNESS. Proceedings of the International Symposium on Auditory and Audiological Research, 7, 289–296.
[13] Oetting, D, Rennebeck, S, Wercinski, B, Schulte, M (2019) Binaurale breitbandige lautheitsbasierte Anpassung trueLOUDNESS im Vergleich zu NAL-NL2. 21. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie (DGA, Halle)

Zurück

Presseservice

Publikationen

Öffnungszeiten

Montags bis donnerstags: 08:00–17:30 Uhr

Freitags: 08:00–13:00 Uhr

Adresse

Hörzentrum Oldenburg gGmbH
Marie-Curie-Straße 2
26129 Oldenburg

Telefon: +49 441 2172-100
Telefax: +49 441 2172-250
E-Mail: info@hz-ol.de

Follow us
Copyright 2024.
Einstellungen gespeichert

Datenschutzeinstellungen

Wir (Hörzentrum Oldenburg gGmbH) und unsere Partner nutzen Cookies, um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern. Bitte willigen Sie in die Verwendung von Cookies ein, wie in unserem Cookie Hinweis beschrieben, indem Sie auf „Alle akzeptieren“ klicken, um die bestmögliche Nutzererfahrung auf unseren Webseiten zu haben.

You are using an outdated browser. The website may not be displayed correctly. Close